Donnerstag, 24. Dezember 2015

Relativ schnell



Ab wann ist ein Auto schnell? Oder die relevantere Frage ist, ab wann hat ein Auto zu viel Leistung? Wie bereits im vorherigen Blogeintrag erwähnt, ist das einzige Auto, das ich wirklich gefahren bin, ein 280 PS Nissan, während die meisten anderen heute mit einem Auto anfangen, das über 60-100 PS verfügt.

Das Geschwindigkeit über eine gewisse Relativität verfügt, ist mir früh bewusst geworden. Zum ersten mal, als ich geschockt war, dass ein Toyota Supra etwa mit Leichtigkeit auf über 600-700 PS gebracht werden kann und somit nahezu alles aus dem Hause Ferrari oder Lamborghini die Rückleuchten zeigt.

Dann, als ich realisiert habe, dass amerikanische Muscle Cars auf dem Papier nahezu unbezwingbar schienen, dann jedoch von kleinen Japanern auf Rundkursen umkreist wurden. Und schließlich, als ich in einen Kartverein wollte, dann aber abgeschreckt wurde, weil die bierbäuchigen Heimfahrer trotz selber Leistung aber mit einem Zusatzgewicht von bestimmt 50 kg trotzdem an mir vorbei fuhren, als hätte ich kein Gaspedal.

Man hatte mir gesagt, dass die 2 Sekunden, die ich an den letzten der Lokalen ran kam, gut waren, aber ich war entmutigt und bin seitdem nicht mehr Kart gefahren. Aber genug dazu und mehr zum Thema der relativen Geschwindigkeit, denn ich habe vor kurzem eine wertvolle Erfahrung gesammelt und eine Lektion gelernt, die mich zu einem schnelleren Fahrer gemacht hat.

In einem Industriegebiet nicht weit von Berlin habe ich so etwas wie eine kleine Rennorganisation gebildet, das ganze habe ich dann ortsbezogen "Industrial Racing League", oder kurz IRL, genannt, angelehnt an die große Mexico Racing League, ein großer Begriff in der Straßenrennszene. Sowohl zur IRL als auch zur MRL werde ich in nächster Zeit bloggen, aber alles zu seiner Zeit.

Das ganze war natürlich nicht halb so professionell und extrem wie etwas, was auf 1320-Video landen könnte, es waren nicht mal wirklich Straßenrennen. In, oder besser am Rande des Insurtriegebiets befand sich eine kleine, kurvige Straße, die das Indurstirgebiet mit einem Bauernhof oder so verbunden hatte.

Wir steckten einen Anfangs- und Endpunkt ab und die IRL-Strecke war geboren, eine knapp 650m lange Piste die sich auf drei langgezogene Kurven und eine Gerade von vielleicht 180m verteilt. Im Auto sowie am Ziel befanden sich jeweils ein "Offizieller" mit Funkgerät. Die Person am Ziel sagte über Funk den Start an und nahm die Zeit, die auf dem Beifahrersitz überprüfte den Start.

Wir waren nicht viele. Dass die Leute, die mitfuhren, das überhaupt taten, war mir ein wunder, denn darunter waren auch "super-vernünftige Autofahrer, die nie etwas unverantwortliches tun würden". So Leute, die eben paranoid vor der Polizei sind und bei einer 50er Strecke punkt 50 fahren. Was nachvollziehbar ist, denn wir sind alle Fahranfänger.

Wahrscheinlich war es eine Mischung aus "hier fährt an einem Samstag Abend nie jemand lang, außerdem befinden sich links und rechts fast nur Feld" und Ehrgeiz. Man wollte wissen, wie nahe man an einen echten Nissan Skyline kommt, oder eben wer der schnellere Fahrer unter seinen langjährigen Freunden ist, die ein ähnlich-starkes Auto fahren.

Meine ersten paar Runden ergaben Zeiten von etwas mehr als 39 Sekunden. Dicht dahinter mit einer 40er Zeit kam ein Freund von mir. Mit einem automatik Audi 80 B4 und 90 PS. Aber schnell füllte sich unsere Tabelle mit Zeiten und meine Zeit sprang von über 39 Sekunden auf 36,06. Doch auch nach weiteren Versuchen konnte ich keine bessere Runde fahren, ich dachte mein Limit wäre fast erreicht.

Doch dann lernte ich die Strecke auf eine besondere Art und Weise kennen. Es begann mit der Neugier, ob ich meinen Freund mit dem Audi, der seine Zeit mittlerweile auf eine 39,80 gefräst hat, also knapp an meinen ersten Skyline-Zeiten, auch in einem Auto schlagen könnte, welches nicht fast einen Liter mehr Hubraum, zwei Zylinder und fast 200 PS mehr hat.

Also erschlich ich, mit dem Auto was ich fahre, mir die Schlüssel des Fahrzeugs meines Vaters, eines 2002 Lancia Y. Der kleine Elefantino leistete 60 PS bei 1,1 Liter Hubraum, wiegt aber eben nur knapp 900 kg. Dadurch, dass es langsam nass wurde und ich den Wagen 100%ig kein zweites mal auf die Strecke bekommen würde, musste ich schnell einpaar gute Runden fahren.

Ich nutzte die Zeit bevor der Audi und die anderen kamen und fuhr die Strecke einpaar mal ab. Nicht schnell, ich wollte mich lediglich an die leichte Lenkung gewöhnen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was der Wagen hergab, beschriebene Lenkung verwirrte mich. Aber was mich am meisten verunsichert hatte, was das mir unbekannte Traktionsniveau der dünnen Reifchen.

Wann fängt der Wagen an zu untersteuern? Wie spät kann ich bremsen? Wenn er untersteuern sollte, verliere ich sowohl lenkende als auch antreibende Räder. Ich dachte während der Runde mehrmals, dass ich das Limit erreicht habe, aber natürlich habe ich mich umsonst erschreckt - ich fuhr wie gesagt recht langsam. Dann, als ich mich endlich zurecht gefahren habe, traf der Audi ein.

Ich sollte die erste Runde fahren. Mein Freund aus dem Audi wollte die Rolle des Beifahrers übernehmen. Und obwohl ich in den Übungsrunden langsam ein Gefühl für das Auto bekam, fuhr ich noch keine schnelle Runde. Meine erste gezeitete Runde würde also auch meine erste wettbewerbsfähige Runde werden.

Ich fuhr den Wagen an den Start. "Bereit? [beleep]" fragte das Ziel über Funk. Mein Beifahrer antwortete "Alles klar, wir sind bereit [beleep]". Schließlich kam der Countdown. "Okay, auf los. Auf die Plätze... Fertig... Los. [beleep]". Der erste Gang war bereits eingelegt. Ich tourte den Motor leicht und ließ die Kupplung springen. Der Start war gut.

IRL-Strecke, ca. 650m

Ich fuhr die knapp 115m lange Startgerade durch und erreichte schließlich den kleinen Rechtsschlenker, der auf dem Bild kaum zu sehen ist, aber mit der "1" markiert ist. Ich fühle exakt, dass das der Bremspunkt ist. Das Bremspedal ist vielleicht 3/4 eingedrückt und in etwa bei erreichen von Kurve 2 höre ich auf zu bremsen.

Ich spüre jede Rille des Asphalts an meinem Lenkrad, meine Hand dient als Grip-Messgerät. Sobald die vorderen Räder aufgehört haben zu rutschen, was ich eben genau an meinen Händen ablesen bzw. abfühlen konnte, trat ich das Gaspedal langsam. Erst ca. 3/4, dann aber durch, weil das Grip-Level das locker zuließ.

Ich sah die Strecke bereits jetzt auf ein mal mit anderen Augen. Anders als im Skyline hatte ich im Lancia genügend Zeit, sowohl die Streckenführung als auch das Fahrzeugverhalten wahrzunehmen. Ich fühlte, dass ich am Limit war, aber der Grad zwischen unkontrolliert und scheißeschnell war kein schmaler, ganz im Gegenteil. Die 60 PS waren genau richtig.

Wenn ich die Runde mit meinem Skyline fuhr, fühlte ich nichts, außer das Heck. Meine 36er Zeit war mit Traktionskontrolle. Natürlich merkte ich an Kurvenausgängen, dass der Wagen effektiv das Gas wegnahm und nicht von der Stelle kam, aber besonders mid-corner merkte ich, dass ich keine Zeit habe, den Wagen zu fühlen und die Strecke zu lesen. Ich merkte, dass ich nichts merke.

Während ich also den Skyline in Kurven nur so schnell bewegte, wie ich es wagte anstatt was die Strecke und mein Talent hergibt, war im Lancia das Gegenteil der Fall. Ich fühlte an meinem Hintern, wann ich zu schnell für den Kurveneingang bin und an meinen Händen, die praktisch über die Lenkachse mit den antreibenden Rädern verbunden waren, wann ich in der Kurve vom bzw. aufs Gas gehen sollte.

Ich bretterte in die rechte Kurve 3, glitt von links außen nach rechts innen, streifte das Gras kurz mit den Innenrädern und beschleunigte dann wieder nach links außen aus dem Kurvenausgang zur ca. 180m langen Hauptgeraden hinein. Ich erreichte irgendwas zwischen 80 und 90 Km/h, genau weiß ich es nicht, weil der Tacho beim Lancia Y aus irgendwelchen Gründen über der Mittelkonsole steht.

Jedenfalls soll ich mit 80 km/h in die letzte und schnellste Kurve geheizt sein. Dabei dachte ich nur eine Woche vorher noch, dass (im Skyline, welcher über 245mm breite Reifen verfügt) hier nur 60 Km/h machbar sind, bevor die Traktion nachlässt. Auch bin ich nicht vom Gas gegangen, sondern bremste nur knapp, hinter der Abzweigung nach rechts ins Gebiet hinein, an, um das Gewicht und damit den Grip auf die Vorderachse zu verlagern.

Ich blieb im 3. Gang denn die Drehzahlen waren zu hoch für den 2., ging von Außen rechts nach innen, (laut Aussage des Beifahrers) Millimeterknapp an der Lanterne im inneren der Kurve vorbei nach links und nutzte dann jeden Milimeter an Asphalt um auf die Endgerade gen Ziel zu kommen, schließlich überwuere ich das Ziel.

39,06 Sekunden.

Ich war also nicht nur schneller als der 30 PS stärkere Audi, sondern auch als meine ersten Runden im fast 5x stärkeren Nissan. Doch obwohl ich nicht damit gerechnet habe, schneller als der Audi zu sein und die Zeit feierte, war mein Hauptgewinn die Lektion, die auf der Strecke und in diesem Auto gelernt habe.

Man nimmt die Geschwindigkeit anders auf; die Lenkung in einem Kleinwagen ist leichter und weniger präzise als in einem Sportwagen, die Sicht ist anders, das Gefühl, wenn man deutlich höher im Auto sitzt, ist anders, der Wagen bremst und beschleunigt anders, aber ist im großen und ganzen viel leichter zu kontrollieren.

Ich lernte jeden PS zu schätzen. Nicht ihn wertzuschätzen, sondern einzuschätzen. Ich verstand, dass, obwohl ich ehrlich gesagt anfing, mich mit der Leistung des Skylines zu langweilen, weil ich mich an die G-Kräfte und das Bild das man sieht, wenn man das Gaspedal durch drückt, gewöhnt habe, ich noch nicht wirklich bereit war, dieses Auto zu fahren. Nicht am Limit.

Ich erinnerte mich daran, dass ich mal gehört habe, dass Michael Schumacher die Strecke vor den Rennen mit einem Moped abfuhr und aufeinmal machte es Sinn. Denn man lernt weniger über die Fahrzeugverhalten im Allgemeinen - jedes Auto fährt sich unterschiedlich - sondern über die Streckenführung, wenn man sie mit einem schwächeren Auto fährt.

Wenn man dann in einem stärkeren Auto sitzt, kann man die "Perimeter und Koeffizienten", die man bei jedem Bremsen, Lenken und Beschleunigen, spürt, auf das neue Auto umsetzen. Wahrscheinlich gibt es dafür ein Limit an PS-Differenzen, aber nach den 60 PS fühlte ich mich fit für die 280 PS. Auch kreuzte das eine Vorstellung, die ich hatte.

Noch bevor ich diesen Blog erstellt hatte und nur mit der Idee davon rumspielte, dachte ich nicht nur, wie schon erwähnt, dass ich die Leistung vollständig unter Kontrolle hatte, sondern auch, dass ein Sportwagen nicht annähernd so schlecht für Fahranfänger seien, wie etwa ein Citroen C2 oder ein Opel Corsa, was andere erste Autos in meinem Umfeld waren.

Begründet hatte ich diese These damit, dass ein Sportwagen, mit seinem tiefen Schwerpunkt, der entwickelten Aerodynamik, den fetten Bremsen und den breiten Reifen viel sicherer ist, als ein kleiner Klotz auf dünnen Reifen. Aber erst muss man "Parameter" sammeln, lernen, wie man wahrnimmt, wann der Wagen an sein Limit der Kontrolle kommt.

Das lernt man besser, wenn der Grad zwischen Kontrollverlust und Sicherheit schneller erreicht wird aber dafür nicht so gering ist. Man merkt praktisch länger das etwas nicht in Ordnung ist und hat dadurch mehr Zeit zum reagieren. Und erst wenn man das raus hat, ist man bereit, für einen leistungsstarken Wagen.

Nissan Skyline R34 GTT
Startgerade, IRL-Strecke
Einen Tag später war wieder IRL. Diesmal waren wieder etwas mehr Leute dabei. Zum "einfahren" fuhr ich erstmal wieder mit Traktionskontrolle. Ich merkte, wie ich eine ganz andere, bessere Linie fuhr, besser bremste, früher Gas gab. Aber dass ich eine 36er Zeit einfahren würde, dachte ich nicht. Endergebnis: 34,06 Sekunden.

"Ohne Witz? Ich fuhr mit Traktionskontrolle!" Die nächste Runde gehörte mir. Nach dem Startsignal über Funk ließ ich wieder die Kupplung springen. Die Räder drehten durch, aber ich kontrollierte den Spin mit meinem rechten Fuß, um möglichst schnell vom Fleck zu kommen. In etwa bei der Brücke (man sieht sie einbisschen auf dem Bild) schaltete ich in den Zweiten.

Der Start gelang mir, der Zweite Gang fühlte sich an wie ein Schlag auf den Nacken. Die hinteren Räder drehten einbisschen durch, ich gab weiter Gas. Erreichte bestimmt 100 Km/h. Der zweite Gang erreichte den Begrenzer, aber der kleine Rechtsschlenker und die erste richtige Kurve (Kurve 1 und 2) war bereits so nahe, dass sich ein Hochschalten nicht lohnte.

Ich bremste in Kurve 1 hinein doch bereits in Kurve 2 merkte ich, dass ich bereits auf Geschwindigkeiten gekommen war, in denen ich wieder beschleunigen konnte. Also trat ich das Gaspedal langsam erst ca. auf die Hälfte an und dann voll durch. Mein Heck brach einwenig aus, aber alles in einer kontrollierten Manier.

Schießlich fahre ich auf Kurve 3 zu, mein Heck hat sich wieder einbekommen und ich fuhr gerade zu auf die linke Seite des Kurveneingangs. Dann bremste ich an, rollte mit den Innenrädern rechts einbisschen über das Gras und beschleunigte dann hart auf die Gerade zu, das Heck für 2-4 Sekunden wieder einbisschen quer.

Hauptgerade, Geschwindigkeiten von über 110 Km/h. Nach der Einfahrt ins Industriegebiet kurz anbremsen, das Gewicht und den Grip an die Vorderachse verlagern. Schließlich nach links lenken, knapp an der Lanterne neben der Strecke vorbei und kurz bevor die Strecke gerade wird, wieder voll auf's Gas. Wieder leichtes Rutschen.

33,51 Sekunden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen