Donnerstag, 25. August 2016

Der Fall "Traktionskontrolle"


Der amerikanische Autojournalist Jack Baruth ist ein toller Schreiber. Er bekommt es hin, den Leser mit Wut und Unverständnis in den Artikel gehen zu lassen und ihn dann beim lesen mit Logik und Symphatie komplett umzudrehen. So auch bei seiner nicht ganz neuen Kolumne für Road&Track, in der er für die Traktionskontrolle argumentiert.

Er leitet seinen Artikel damit ein, dass er beim Falschirmspringen nie jemanden gesehen hat, der seinen Reserveschirm vorm Fall in die Tonne schmeißt, oder beim Zip-Lining seinen zweiten Karabiner nicht einharkt, jedoch drei von vier Rennfahrschüler aus Prinzip die Traktionskontrolle ausschalten. Die Gründe sieht er zu gleichen Zügen in Fehlinformationen, Ignoranz und Stolz.

Und, schon getriggered? Fühlst du dich schon beleidigt, weil du entweder ein falsches Konzept vom Autofahren hast oder Ignorant oder Stolz bist, wenn du die Traktionskontrolle ausschaltest? War ich auch und so ist es typisch für Baruths Kolumnen. Nun kommt aber der harte Teil. Der, der Überzeugt.

"Entgegen der allgemeinen Auffassung signalisiert die TC-Lampe die harte Arbeit der Ingenieure, die versuchen, deine Inkompetenz auszugleichen". Die meisten Autos kommen mit eingeschalteten Fahrhilfen nur wenige Sekunden per Runde hinter der Zeit ohne Fahrhilfen ins Ziel. Ein Unterschied, der nur professionelle Fahrer betrifft. Nicht jedoch den typischen Touristenfahrer, der, anders als ein Stabilitätsprogramm, menschlich ist.

Die Traktionskontrolle wird nicht müde, sie denkt nicht an die nächste Runde, oder den Job, oder die Freundin oder das After-Dinner. Sie macht sich nicht verrückt, weil ein paar Meter weiter vor ein Auto von der Strecke rutscht oder schätzt die Traktion falsch ein, weil sie die kleine Pfütze in der letzten Kurve nicht gesehen hat.

Formel 1 Teams haben Himmel und Hölle bewegt, um Fahrassistenten in Autos von Namen wie Schumacher zu verstecken und heute verzichtet kein F1, LMP1 oder sonstiges Weltklasseteam auf Fahrhilfen. Wenn Schumacher oder Hamilton von elektronischer Intervention profitieren können, kannst du das auch.

Baruth beendet seinen brillanten Artikel mit einer Geschichte. Einer seiner Studenten, ein extrem tallentierter Bursche, rief ihn eines Tages an, während Baruth selbst mit seinem Sohn Autoscooter fuhr, und berichtete ihm von einem schweren Unfall auf der Strecke, welcher seinen 50,000 Dollar Wagen zu einem Schrotthaufen machte. Zu den Unfallbedingungen zählt auch, dass die Traktionskontrolle aus war, er hatte versucht etwas Zeit auf der Strecke zu finden.

So.

Allerdings stört mich bei seiner Argumentation eine Sache. Baruth geht während seines gesamten Stückes von Rennstrecken aus. Dabei wissen wir spätestens nach seiner Anleitung zum schnellen Bergpass, dass er den sogenannten Spirited Drive so gut kennt, wie wir alle. Wenn man allein in seinem Roadster auf eine Haarnadelkurve zufährt, braucht man keine Elektronik, die einem die Kraft von den Rädern nimmt.

Am Sonntag morgen will man sein Auto nicht ans Limit bewegen, man möchte Spielen. Man möchte mit der Straße kommunizieren, unswar ungefiltert. Dafür werden Sportwagen gemacht; das unterscheidet sie von Rennwagen. Bei einer solchen Ausfahrt wäre die Traktionskontrolle wie die Mutter beim Bewerbungsgespräch; irgendwie im Weg.

Vor allem aber bedeutet das prinzipielle Fahren mit Traktionskontrolle eine Sache: Du kennst einen Teil deines Autos nicht. Du kennst das Kurvenverhalten; wie tief du das Gaspedal vergraben kannst und wie hoch die Zahl auf dem Tacho sein darf. Aber nur wenn der Computer drüber schaut. Es ist ein bisschen wie wenn man als Kind auf dem Schoß eines Elternteils fährt und die Eltern so ziemlich alles außer das Lenkrad übernehmen und selbst das mit schwebenden Händen sorgsam überwachen.

Ich will nicht sagen, dass eine Runde im McLaren P1 oder LaFerrari mit angeschalteten Fahrassistenten nicht durch die eigenen Fähigkeiten entstanden ist, aber solange man keinen Formelrennwagen oder Langstreckenprototypen fährt, sollte man nicht abhängig von der Traktionskontrolle sein. Man sollte von sich aus wissen, wie schnell der Wagen in die Kurve fahren kann, nicht in die Kurve fahren und warten, dass die Assistenten ihren Job machen.

Genau wie Baruth beende ich meinen Eintrag mit einer Geschichte. Während eines Zeitrennens auf einer knapp 600m langen Strecke in einem Industriegebiet fuhr ich zwei gezeitete Runden. Eine mit Traktionskontrolle und eine ohne. Aufgrund der Kürze der Strecke ist es extrem schwer, Zeit zu finden. Nichtsdestrotrotz war meine Zeit ohne Traktionskontrolle um legendäre 3 Sekunden schneller als mit.

Lag es daran, dass die Traktionskontrolle im Nissan Skyline R34 steinzeitlich ist? Oder eher am engen Streckenlayout, welches einfach erfordert, dass man auch mal Traktion bricht? Ich weiß es nicht, allerdings kenne ich mein Auto gut genug um es ohne Helfer schnell um die Strecke zu jagen. Aber das nächste mal lasse ich die Traktionskontrolle vielleicht mal an und achte darauf, wann die Leuchte angeht. Vielleicht kann man die Kurve etwas geschmeidiger nehmen, ohne das Chassis zu belasten und die Räder singen zu lassen. Vielleicht kann ich ja das, was ich aus der Runde mit Traktionskontrolle lerne, in die Runde ohne Traktionskontrolle nehmen.